Tape art by Lorin Strohm (assistiert von Anika Väth)

Donnerstag, 31. März 2011

Gaddafi Superstar - Gedanken zu Kunst und Politik

KING OF THE KINGS von den Lovefuckers

Gaddafi - Muammar al-Gaddafi - ist in aller Munde, in allen Zeitungen und nun auch im Theater: Der Mann, der aus der Wüste kam und 1969 mit einem Militärputsch das Regime von König Idris von Libyen in den Mülleimer der Geschichte beförderte. Seitdem regiert er mit eiserner Faust als alleiniger Herrscher das Land  und propagiert ein wirres Welterlösungsprogramm- festgehalten im bekannten 'grünen Buch'. Das Stück vermengt in einer ebenso rasanten wie lustigen Show, dramatische Wahrheiten und skurrile Begebenheiten rund um den Diktator.

King of the Kings © Lovefuckers/Sebastian Valk

Der zynische Humor der Lovefuckers macht vor nichts halt und so findet Gaddafis Liebe für pazifistische Konfliktlösungsstrategien - 'Anti-Bevölkerung-macht-Stress Waffenserie' von den freundlichen Männern von 'Social buisness' - ebenso Einzug in das Stück wie seine unzerstörbare Freundschaft zu Berlusconi - auf ewig verbunden durch ihre gemeinsame Liebe für Bunga Bunga und weitere obszöne Eskapaden -, seine progressive Meinung zur Rolle der Frau -  die natürlich alles darf und kann aber leider durch den permanenten Mutterzustand zu schwach dazu ist (dixit das grüne Buch), seine Liebe für partizipative Herrschaftformen - "Ich verabscheue alle parlamentarischen Demokratien" und vor allem die grenzenlose Liebe des libyschen Volkes für Gaddafi - alle gefühlte 2 Minuten muss sich Gaddafi vor einer Gewehrsalve ducken. Die hier dargestellte Lesart der Gaddafi-Thematik ist mutig und vor allem erfrischend - endlich ein neuer Blick auf das alte - im wahrsten Sinne des Wortes angesichts der 40 jährigen Herrschaft Gaddafis - Thema.

Das Stück ist ein wahres Festival der Kunst- und Kommunikationsformen - Schauspiel, Puppenspiel, Passanteninterviews, Musik, Mini-Videos, alle Mittel sind recht um die bizarr-erschreckende Persönlichkeit des 'Master of revolution' widerzuspiegeln. Das Resultat ist gelungen: ein Lacher folgt auf den nächsten, wobei die intelligente Kritik nie wirklich weit weg ist. Leider verliert sich das Stück  gegen Ende in Redundanzen  und die Inszenierung versinkt in Aktionismus.

Was es sonst noch zu sagen gibt, hätte keiner schöner als die Gruppe um die Lovefuckers selbst formulieren können, deshalb überlasse ich nun ihnen das Wort:  Gaddafi Superstar - Gedanken, Interpretationen und Hintergründe zu KING OF THE KINGS.


Mittwoch, 30. März 2011

Welches Tier steckt in dir?

Antworten in Bildern von Besuchern von FURRY SPECIES

'Mensch-Tier Hybride sind die besseren Menschen'. Die Zeit ist gekommen in unser tiefstes inneres zu blicken und die dunklen Seiten unseres Ichs zu erkunden. Auf der Suche nach den Wurzeln unsere wahren Identität stellen wir die ultimative Frage: welches Tier steckt in dir? Die Antwort gestaltet sich als Tiere-Rätselraten auf metaphysischer Ebene, denn ab jetzt 'wollen wir Hybride sein oder nicht sein'.


 
Institut für Hybridforschung © Corinna Korth
Mischwesen #1 


Mischwesen # 2

 Mischwesen # 3

 
Mischwesen # 4

Mischwesen # 5

Mischwesen # 6

 Mischwesen # 7

 Mischwesen # 8


Welches Tier steckt in dir © Miss Nina Ka 

Montag, 28. März 2011

Von rauschenden Festen und institutionalisierter Liebe

BIS DAS DER TOD UNS SCHEIDET 
- eine polnische hochzeitsfeier von mariamagdalena & Gästen

Sie hat ein schönes Kleid
Sie hat goldene Haare 
Und ist mein ganzes Glück 

- Der Bräutigam

Das private ist politisch. Eine Hochzeitsperformance, vor allem eine polnische, ist nie nur Herzluftballons und Freivodka für alle.

Was wie eine von diesen Familienhochzeitsfeiern beginnt, die wie ein Gruselkabinett der Peinlichkeiten anmuten und auf denen man sich viel zu früh in einer Polonaise zwischen Bekannten wieder findet, die man viel zu lange nicht gesehen hat, in Zuständen, die man eigentlich überhaupt nicht sehen möchte, bleibt auch ziemlich lange so. Das Bildungsbürgertum rümpft die Nase, alle anderen haben Spaß, und das ist im Theater ja schon fast eine Seltenheit. 

Bis das der Tod uns scheidet © mariamagdalena 

Die Hochzeitsfeier von Mariamagdalena und ihrem Bräutigam ist ausgelassen. Aber im Trubel von Gruppentanz, Hochzeitspielen, Vodka  und sauren Gurken durch den die Theaterbesucher getrieben werden, tauchen doch irgendwann Fragen auf. Fragen nach dem Onkel aus Chipchev der zum nieddriglohn auf dem Bau arbeitet, nach der Kusine die als Pflegehelferin die Lücken des deutschen Sozialsystems stopft. Die Stimmung kollabiert. Nach 6 Stunden ausgelassenem Feiern wurde es auch mal Zeit.

Weitaus wichtiger, und in ihrer Unausgesprochenheit auch radikaler, ist die Frage nach der Hochzeit als  urtypischem und gleichzeitig zeitlosem, ultimativem Ausdruck jeder wahren Liebe. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre mögen uns zwar eine Alternative vorgevögelt haben, die Hochzeit und ihr Versprechen „love for ever“  bleiben dennoch der unangefochtene Gipfel unserer monogamen Kultur.

Doch die Hochzeit hat sich, auch wenn sie beständig weiter existiert, in ihrer Rolle vollkommen verändert. Vergessen sind die Zeiten in denen Hochzeiten bewährte Außenpolitische Friedens- und Staatsausdehnungsinstrumente und Besiegler ökonomischer Transaktionen darstellten. Heiraten ist heute ein freiwilliger Akt der Liebe, dessen Symbolik sicherlich vor dessen konkreter Tragweite steht. Die Ehe steht nicht mehr im Wiederspruch zur absoluten Freiheit des Individuums, die in der westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhundert so groß geschrieben wird.

Was bleibt, ist das Bedürfnis nach einer Offizialisierung der Beziehung, (nebst Pragmatismus, Statussteigerung und Anpassung an sozialen Druck) eine von vier von Jean Kellerhas identifizierten Beweggründen zu heiraten).  Hochzeiten, heute wie damals, sind meist eingebettet in rauschende Feste auf denen viele Gäste feiern (und Mariamagdalena liefert uns ein prächtiges Exemplar einer solchen!), ziehen Eheringe nach sich und werden übermäßig durch Photos verewigt. Alles Wege eine Beziehung in die Öffentlichkeit hinaus zu tragen. Auch auf ganz formelle Art und Weise spielt die Öffentlichkeit eine Rolle bei der Hochzeit: Die Hochzeitsankündigung wird vier Wochen lang ausgehangen,  die Unterschrift eines Staatsdieners eingeholt, der Name im Ausweis gewechselt. Summa sumarum wird die staatliche Legitimierung einer eigentlich rein privaten Sache eingefordert.

Wenn das Licht ausgeht stehen die Zuschauer, noch ganz benommen von diesem partizipativem Performancemarathon, mit einem Gefühl das irgendwo zwischen heiter, peinlich berührt und iritiert oszilliert, am Rande der Tanzfläche. Neue Erkenntnisse über Entkulturalisierung und Ausbeutung im Zuge der Globalisierung sind leider ausgeblieben, aber Mariamagdalena hat soeben das Thema Hochzeit, welches wohl das Gehalt einer ganzen Armee an Frauenzeitschrifstredakteuren sichert, in die Sphären des Off-Theaters befördert.
Georges Brassens - La non-demande en marriage

 Georges Brassens © Philips 


BIS DAS DER TOD UNS SCHEIDET  - eine polnische hochzeitsfeier von mariamagdalena & Gästen ist zu sehen:

BRUT Wien: 08.04.
GESSNERALLEE Zürich: 14.05.

FFT Düsseldorf: 28.05.

Samstag, 26. März 2011

Humanimal - Mischwesen in deinem popkulturellem Wohnzimmer!

Canis Lupus alias Corinna Korth ist längst nicht mehr als alleiniges Mischwesen in europäischen Städten unterwegs. Sobald die Kunst, das "devenir-animal" als neue Identitätsvariable entsdeckt hat, folgen schon ihre popkulturellen Nachahmer. Die Wildnis kann sich jetzt jeder ganz einfach nach Hause bestellen, so preist es zumindest die Webseite des Performance-Künstlers und Modells Alex Kovas an.

Humanimalis © Alex Kovas

Der Londoner verwandelt sich in seinen Performances, die unter dem Namen 'Humanimal' laufen,  in jedes erdenkliche Tier - Doberman, Antilope, Schneeleopard- alles ist möglich. Fast nackt, und mithilfe von Body-Paint, Kunstzähnen und Silikonprothesen inszeniert sich der Selbsternannte Avantgarde-Künstler vor der Kamera. Die Videos werden von hundertausenden You Tube Usern verfolgt, und sorgen für wirre Gefühle. Von faszinierend bis eklig wird seine Kunst mit fast jedem erdenklichem adjektiv das die europäischen Sprachen so hergeben quittiert. Sein Geld verdient Alex Kovas damit, dass er bei privaten Veranstaltungen auftritt. Falls du also schon immer von einem Geburtstag mit anthropomorphem Touch oder einer Hochzeit mit animalo-sexuellem Flair geträumt hast, weißt du jetzt wo es lang geht!

Während bei Corinna Korth die körperliche Veränderung eine nachhaltige Modifikation der Identität nach sich zieht, und vor allem auf eine eingängige Reflektion gesellschaftsimmanenter Identifikationsprozesse folgt, ist Kovas innere Transformation genauso so schnell dahin, wie die Schminke auf seinem Körper abgewaschen. Die Identitätssuche des Künstlers hört hier an der Türschwelle auf. Dem Künstler ist bei allem guten Willen kein triftiges philosophisches Konstrukt hinter seinem Werk zu entlocken, kein markantes politisches Statement. Bei weitem wichtiger als der Kunstakt an sich, sind hier die vom Zuschauer empfundene Lust am und der Ekel vor dem Mischwesen. Die Menschen ergötzen sich an den Bildern jener, die es wagen die Haarscharfe Trennung zwischen Mensch und Tier zu missachten, verlangen bei aller Abscheu nach Mehr und befördern so das Mischwesen in den Popkulturellen Himmel.




Freitag, 25. März 2011

Identität und Zivilisation. Was ist Mensch, was ist Tier?

FURRY SPECIES vom Institut für Hybridforschung 

Die Erforschung des Mensch-Tier Dualismus löst sich als Monopol der Intellektuellen auf und erobert den öffentlichen Raum: Die individuelle Identitätssuche und -findung sucht sich im 21. Jahrhundert neue Ausdruckswege. Diese führen über die Infragestellung der  vielleicht primärsten Aufteilung der Welt, in Natur und Kultur, Mensch und Tier.

Institut für Hybridforschung © Corinna Korth

Im Mittelpunkt der Suche nach dem neuen ‚Ich’ steht bei der Künstlerin Corinna Korth die (Re-)Konstruktion ihrer animalischen Vergangenheit und ihres animalischen Daseins. Seit 2000 behördlich anerkanntes Mischwesen aus Wolf und Mensch, fährt sie U-Bahn, geht jagen, arbeit als Schäferwolf und Leiterin des Instituts für Hybridforschung. Nach der Reintegration des Wolfes in seine deutschen Gefilde in den 1990er Jahren, reintegriert Corinna Korth den Wolf in ihre menschliche Identität.  Eine durch geistige und körperliche Transformationen gelebte Symbiose, die sie in Photos, Filmen, Performances, Sachbüchern festhält. Identitätsfindung ist hier Kunst, Politik und Chirurgie zugleich.

Corinna Korth holt den Wolf zurück in die Zivilisation, Timothy Treadwell flieht vor der Zivilisation in die Gemeinschaft der Grizzlys nach Alaska. Fünfzehn Sommer lang lebt Timothy Treadwell mit den Bären als wären es Teddys, bis sie ihn schließlich am Ende des Sommers 2003 umbringen. Werner Herzog begibt sich mit seinem 2008 erschienenem Film ‚Grizzly man’ auf Treadwells Spuren und verarbeitet unzählige Stunden an dokumentarischem Filmmaterial. Auf hunderten von Videos hat Treadwell festgehalten wie er sich der Lebensart der Grizzlys aneignet, ihnen auf Schritt und Tritt folgt, lernt Fisch zu fangen wie sie. Im Vordergrund steht in Herzogs Film weniger das, was Treadwell war bevor er seinem wahren ‚Ich‘ in der Form eines Grizzlys begegnete. Vielmehr ist das Augenmerk auf Treadwells Gradwanderung zwischen Mensch und Tier und jenem unüberwindbaren Graben, der schließlich zum seinem Tod führte, gerichtet.

Corinna Korth ist, wie Timothy Treadwell auch, Teil einer Bewegung, die sich auf einer identitätstiftenden Flucht aus der Zivilisation heraus und in die Wildnis hinein befindet. Das Tier in sich zu entdecken, ist nunmehr eine von unendlich vielen Möglichkeiten zu sich selbst zu finden. Vorbei sind die Zeiten in der man sich fürchtete vor der Zoanthropie [gr. zôon Tier, anthrôpos Mensch, Wahnvorstellung, in ein Tier verwandelt zu sein], in der Wehrwölfe gejagt und Mischwesen – man denke an die ominöse Lilith - als Sinnbilder der Sünde aufgestellt wurden. Nachdem uns die letzten Jahrzehnte weiß machen wollten Selbstfindung finde über Aussteigertum, Drogenexzesse und aryurvedischem Yoga statt,  lautet die Botschaft des 21. Jahrhunderts: Geht und suchet, dass ihr das Tier in euch findet!

 © Werner Herzog Filmproduktion

FURRY SPECIES vom Institut für Hybridforschung  ist zu sehen:

KAMPNAGEL Hamburg: 26.04.
BRUT Wien: 08./09.04.
GESSNERALLEE Zürich: 11./12.05
FFT Düsseldorf: 25./27.05