Tape art by Lorin Strohm (assistiert von Anika Väth)

Mittwoch, 6. April 2011

Ain't there nothing in this world for free? Vom Besitzen und Kooperieren.

CMMN SNS PRJCT von Laura Kalauz und Martin Schick

Eine Tombola ohne Tombolaschein, Besitz ohne Grund, ohne Legitimität, ohne Gegenleistung. Gleich zu Beginn wird der Zuschauer mit alten Besitztumsfragen gequält: Darf ich die tolle pinke Glitzertasche, die mir der Darsteller eben in die Hand gedrückt hat, wirklich behalten? There's no such thing as a free lunch, is there?

CMMN SNS PRJCT©Kalauz/Schick/Sophiensaele

Eigentum und Kooperation, Privatbesitz und Solidarität sind jene Themen die sich durch das Stück ziehen. Sie strukturieren es nicht, sondern ploppen immer wieder auf in unterschiedlichen Formen und Konstellationen, an verschiedenen Irrungen und Wirrungen des Stückes.

Zum Glück prophezeit uns Ronald Inglehard seit den 1970ern das Anbrechen des post-materialistischen Zeitalters, die Gier blüht beim Stichwort "for free" trotzdem auf. Schon Minuten vorher bereitet man sich darauf vor im entscheidenden Moment die Hand zu strecken um auf die Frage "who wants this?" zu antworten und die Tasche, den Wäscheständer, die Handschuhe zu ergattern. Für einen fünf Euro Schein springt man schon mal auf. Wenn die Perfomer, bis dahin lediglich mit Unterwäsche bekleidet, sich etwas zum anziehen borgen möchten, kippt plötzlich die Situation. Langsam kommen Jacken, Schuhe, Schals aus dem Publikum rübergewandert, aber "only for the moment". Die Tasche habe ich gerne genommen, aber mit dem Hergeben fällt es dann doch schwerer.

"Wer hat meine Kaffeemaschine geklaut?
Warum ist das deine Kaffeemaschine?
Weil ich sie mit meinem Geld gekauft habe.
Und warum ist es dein Geld?
Weil ich dafür gearbeitet habe. Es gehört mir weil ich Arbeit darein
investiert habe. Jedenfalls ist das mein Geld und meine Kaffeemaschine
und ich will Kaffee daraus trinken.
Naja, jetzt trinkt eben jemand anderes Kaffee daraus."

Können Menschen auch was Anderes als sich um Kaffeemaschinen streiten? Können Menschen auch kooperieren? In der Sprache von Kaulauz und Schick bedeutet das: Können zwei Menschen so sein wie die zwei Hände eben dieser Menschen? So wie die linke Hand die rechte Hand nicht bestraft wenn die rechte Hand mit dem Hammer ausrutscht und die Finger der linken Hand lädiert. So wie die rechte Hand der linken Hand nicht auf ewig ihre gütige Hilfe vorhalten wird, nachdem die rechte Hand liebevoll ein Pflaster um die Finger der linken Hand gewwickelt hat.

Die Antwort gestaltet sich als Exkurs in die pragmatischste aller pragmatischsten Wissenschaften - die empirische Sozialforschung. Der Titel dieses Abschnitts könnte sein : Die Tragödie der Allmende oder warum kooperieren Akteure? Eben diese ominösen Sozialforscher unterscheiden drei Arten von Besitz: Privateigentum (z.B. mein Haus), Kollektivgüter (z.B. die Luft zum atmen) und sogenannte common pool resources (z.B. Wasser) auch Allmenderessource genannt.

Die Allmenderessource ist eine Ressource die allen Menschen uneingeschränkt zur Verfügung steht, daher ist jeder versucht, für sich so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften. Und weil die Ressource endlich ist, das ganze auch so schnell wie möglich. Die Gefahr der vorzeitigen Erschöpfung bzw. Ausrottung der Ressource ist unmittelbar.Die Kosten, die durch den Raubbau entstehen trägtdie Gemeinschaft. Für den Einzelnen ist der augenblickliche Gewinn deshalb wesentlich höher als die erst langfristig spürbaren Kosten. Doch letztlich trägt jeder sowohl zum eigenen als auch zum Ruin der Gemeinschaft bei , was man gemeinhin die Tragödie der Allmende nennt. Kooperation ist unmöglich in einer vom Homo Oeconomicus bevölkerten Welt.
 

Das verrückte ist ja, dass es Kooperationen trotzdem gibt. Elinor Ostrom hat in ihrem Buch 'Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action' eben diese Allmenderessourcen untersucht und sich der Frage gewidmet: Wie kann sich eine Gruppe voneinander abhängiger Akteure zur Erzielung langfristiger gemeinsamer Vorteile selbst organisieren und verwalten, wenn alle versucht sind, Trittbrett zu fahren, sich zu drücken oder sonst wie opportunistisch zu handeln? Die Lösung heisst 'Institutionensystem', welches einerseits die Ressource und die berechtigten Aneigner definiert und andererseits glaubhafte und entsprechend der Schwere und des Kontextes der Regelverletzung abgestufte Sanktionen bei Regelverletzungen festschreiben.

Bei Kalauz und Schicks Streifzügen durch die Besitztumslandschaft stellt Materialität keine Grenze dar - "Isn't everything a creation of mind?".Sie versteigern eine 'Non-exclusive licence' für ihr Stück, spielen Filmszenen nach und die Zuschauer werden mit mehr als von der GEMA freigegebenen 30 Sekunden von 'As time goes by' vollgedudelt.
 "Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität." Julia Kristeva (Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman, 1967).
Leider ist bei all diesen schönen und tiefsinnigen Gedanken die Langeweile nie sehr weit, Passagen ziehen sich hin, Postulate werden durch Langwierigkeit verwässert, fehlende Anschlüsse berauben das Stück seiner Kraft. Das Stück besticht dennoch durch seine Ehrlichkeit und seine Konsequenz. Die Tasche gehört am Ende wirklich mir, die 50 Euro; die Übrigbleiben wenn Kosten und Einnahmen des Stückes miteinander verrechnet werden werden willig dem Publikum zur freien Verfügung bereitgestellt. Das Publikum öffnet mit seiner Entscheidung neue politischer Fässer. Die Kunst hat keine Chance - die Ideen das Geld den Performern zu geben oder in eine neue Show zu investieren scheitern kläglich und zum Glück bleibt uns auch das Gutmenschentum - 50 Euro für das Frühstück von Ghanaischen Waisenkindern- erspart und am Ende gewinnt das Freibier für alle. Kluge Entscheidung.

CMMN SNS PRJCT von Laura Kalauz und Martin Schick ist zu sehen:

BRUT Wien: 12./13.04
GESSNERALLEE Zürich: 05./13./14.05
FFT Düsseldorf: 25./26.05


Dienstag, 5. April 2011

Liebe unradikal

ROMANTIC AFTERNOON von Verena Billinger und Sebastian Schulz

60 Minuten öffentliches Knutschen. Rien de plus. Klingt radikal. Ist es aber nicht: Bei den Darstellern kein Zufall, keine Leidenschaft und keine Zunge - ich habe es ganz genau gesehen - und bei den Zuschauern keine Scham, keine Leidenschaft, kein Interesse.

ROMANTIC AFTERNOON*©Billinger/Schulz/Sophiensaele

Schöner, leidenschaftlicher und vielleicht den Intentionen von Bllinger & Schulz näher als ihre eigentliche Produktion ist die 'Série du canapé n°6' von Gladys die in Agnès Vardas 'Une minute pour une image' vorgestellt wird.

Une minute pour une image © Agnès Varda/Garance/France 3

ROMANTIC AFTERNNON* von Verena Billinger und Sebastian Schulz ist zu sehen:

BRUT Wien: 12./13.04.
GESSNERALLEE Zürich: 06./07.05.
FFT Düsseldorf: 19./20.05.