Tape art by Lorin Strohm (assistiert von Anika Väth)

Donnerstag, 2. Juni 2011

Res publica, res privata - Ein Festivalfazit

Das Hamburger Freischwimmer Festival liegt nun schon einige Zeit zurück; viel Zeit, viele Gedanken, viele Orte und viele Blogs sind seitdem verflossen/geflossen/durchgeflossen. Immer diffuser werden die Bilder, wirrer die Errinerungen. Und was bei Jürgen Habermas schon lange Programm, hat uns in der Tat durch das Festival hindurch und noch danach begleitet: "Rückzug ins Offentliche".

FURRY SPECIES
Öffentlichmachung eines Identitätsfindungsprozesses.

BIS DAS DER TOD UNS SCHEIDET
Eine Familienfeier zwischen gesellschaftlichen Missständen und privatem Glück.

SOUVEREINES
Die Königin zwischen öffentlicher Facade und versteckter Privatheit.

NOTSTAND
Raus aus dem Privaten rein in den Notstand.

CMMN SNS PRJCT
Privatbesitz ganz öffentlich.

ROMANTIC AFTERNOON*
Öffentlichmachung einer rein privaten Aktes.

KING OF THE KINGS
Inszenierung einer öffentlichen Person.

Wikileaks, Facebook, Nackscanner; was haben wir dem noch entgegenzusetzen? Ein kuscheliges Festival, ein bisschen Knutschen vor dem Theater, ein paar aufwülende Gedanken, und vielleicht dürfen wir am Ende wieder Mensch sein.

Mittwoch, 6. April 2011

Ain't there nothing in this world for free? Vom Besitzen und Kooperieren.

CMMN SNS PRJCT von Laura Kalauz und Martin Schick

Eine Tombola ohne Tombolaschein, Besitz ohne Grund, ohne Legitimität, ohne Gegenleistung. Gleich zu Beginn wird der Zuschauer mit alten Besitztumsfragen gequält: Darf ich die tolle pinke Glitzertasche, die mir der Darsteller eben in die Hand gedrückt hat, wirklich behalten? There's no such thing as a free lunch, is there?

CMMN SNS PRJCT©Kalauz/Schick/Sophiensaele

Eigentum und Kooperation, Privatbesitz und Solidarität sind jene Themen die sich durch das Stück ziehen. Sie strukturieren es nicht, sondern ploppen immer wieder auf in unterschiedlichen Formen und Konstellationen, an verschiedenen Irrungen und Wirrungen des Stückes.

Zum Glück prophezeit uns Ronald Inglehard seit den 1970ern das Anbrechen des post-materialistischen Zeitalters, die Gier blüht beim Stichwort "for free" trotzdem auf. Schon Minuten vorher bereitet man sich darauf vor im entscheidenden Moment die Hand zu strecken um auf die Frage "who wants this?" zu antworten und die Tasche, den Wäscheständer, die Handschuhe zu ergattern. Für einen fünf Euro Schein springt man schon mal auf. Wenn die Perfomer, bis dahin lediglich mit Unterwäsche bekleidet, sich etwas zum anziehen borgen möchten, kippt plötzlich die Situation. Langsam kommen Jacken, Schuhe, Schals aus dem Publikum rübergewandert, aber "only for the moment". Die Tasche habe ich gerne genommen, aber mit dem Hergeben fällt es dann doch schwerer.

"Wer hat meine Kaffeemaschine geklaut?
Warum ist das deine Kaffeemaschine?
Weil ich sie mit meinem Geld gekauft habe.
Und warum ist es dein Geld?
Weil ich dafür gearbeitet habe. Es gehört mir weil ich Arbeit darein
investiert habe. Jedenfalls ist das mein Geld und meine Kaffeemaschine
und ich will Kaffee daraus trinken.
Naja, jetzt trinkt eben jemand anderes Kaffee daraus."

Können Menschen auch was Anderes als sich um Kaffeemaschinen streiten? Können Menschen auch kooperieren? In der Sprache von Kaulauz und Schick bedeutet das: Können zwei Menschen so sein wie die zwei Hände eben dieser Menschen? So wie die linke Hand die rechte Hand nicht bestraft wenn die rechte Hand mit dem Hammer ausrutscht und die Finger der linken Hand lädiert. So wie die rechte Hand der linken Hand nicht auf ewig ihre gütige Hilfe vorhalten wird, nachdem die rechte Hand liebevoll ein Pflaster um die Finger der linken Hand gewwickelt hat.

Die Antwort gestaltet sich als Exkurs in die pragmatischste aller pragmatischsten Wissenschaften - die empirische Sozialforschung. Der Titel dieses Abschnitts könnte sein : Die Tragödie der Allmende oder warum kooperieren Akteure? Eben diese ominösen Sozialforscher unterscheiden drei Arten von Besitz: Privateigentum (z.B. mein Haus), Kollektivgüter (z.B. die Luft zum atmen) und sogenannte common pool resources (z.B. Wasser) auch Allmenderessource genannt.

Die Allmenderessource ist eine Ressource die allen Menschen uneingeschränkt zur Verfügung steht, daher ist jeder versucht, für sich so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften. Und weil die Ressource endlich ist, das ganze auch so schnell wie möglich. Die Gefahr der vorzeitigen Erschöpfung bzw. Ausrottung der Ressource ist unmittelbar.Die Kosten, die durch den Raubbau entstehen trägtdie Gemeinschaft. Für den Einzelnen ist der augenblickliche Gewinn deshalb wesentlich höher als die erst langfristig spürbaren Kosten. Doch letztlich trägt jeder sowohl zum eigenen als auch zum Ruin der Gemeinschaft bei , was man gemeinhin die Tragödie der Allmende nennt. Kooperation ist unmöglich in einer vom Homo Oeconomicus bevölkerten Welt.
 

Das verrückte ist ja, dass es Kooperationen trotzdem gibt. Elinor Ostrom hat in ihrem Buch 'Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action' eben diese Allmenderessourcen untersucht und sich der Frage gewidmet: Wie kann sich eine Gruppe voneinander abhängiger Akteure zur Erzielung langfristiger gemeinsamer Vorteile selbst organisieren und verwalten, wenn alle versucht sind, Trittbrett zu fahren, sich zu drücken oder sonst wie opportunistisch zu handeln? Die Lösung heisst 'Institutionensystem', welches einerseits die Ressource und die berechtigten Aneigner definiert und andererseits glaubhafte und entsprechend der Schwere und des Kontextes der Regelverletzung abgestufte Sanktionen bei Regelverletzungen festschreiben.

Bei Kalauz und Schicks Streifzügen durch die Besitztumslandschaft stellt Materialität keine Grenze dar - "Isn't everything a creation of mind?".Sie versteigern eine 'Non-exclusive licence' für ihr Stück, spielen Filmszenen nach und die Zuschauer werden mit mehr als von der GEMA freigegebenen 30 Sekunden von 'As time goes by' vollgedudelt.
 "Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität." Julia Kristeva (Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman, 1967).
Leider ist bei all diesen schönen und tiefsinnigen Gedanken die Langeweile nie sehr weit, Passagen ziehen sich hin, Postulate werden durch Langwierigkeit verwässert, fehlende Anschlüsse berauben das Stück seiner Kraft. Das Stück besticht dennoch durch seine Ehrlichkeit und seine Konsequenz. Die Tasche gehört am Ende wirklich mir, die 50 Euro; die Übrigbleiben wenn Kosten und Einnahmen des Stückes miteinander verrechnet werden werden willig dem Publikum zur freien Verfügung bereitgestellt. Das Publikum öffnet mit seiner Entscheidung neue politischer Fässer. Die Kunst hat keine Chance - die Ideen das Geld den Performern zu geben oder in eine neue Show zu investieren scheitern kläglich und zum Glück bleibt uns auch das Gutmenschentum - 50 Euro für das Frühstück von Ghanaischen Waisenkindern- erspart und am Ende gewinnt das Freibier für alle. Kluge Entscheidung.

CMMN SNS PRJCT von Laura Kalauz und Martin Schick ist zu sehen:

BRUT Wien: 12./13.04
GESSNERALLEE Zürich: 05./13./14.05
FFT Düsseldorf: 25./26.05


Dienstag, 5. April 2011

Liebe unradikal

ROMANTIC AFTERNOON von Verena Billinger und Sebastian Schulz

60 Minuten öffentliches Knutschen. Rien de plus. Klingt radikal. Ist es aber nicht: Bei den Darstellern kein Zufall, keine Leidenschaft und keine Zunge - ich habe es ganz genau gesehen - und bei den Zuschauern keine Scham, keine Leidenschaft, kein Interesse.

ROMANTIC AFTERNOON*©Billinger/Schulz/Sophiensaele

Schöner, leidenschaftlicher und vielleicht den Intentionen von Bllinger & Schulz näher als ihre eigentliche Produktion ist die 'Série du canapé n°6' von Gladys die in Agnès Vardas 'Une minute pour une image' vorgestellt wird.

Une minute pour une image © Agnès Varda/Garance/France 3

ROMANTIC AFTERNNON* von Verena Billinger und Sebastian Schulz ist zu sehen:

BRUT Wien: 12./13.04.
GESSNERALLEE Zürich: 06./07.05.
FFT Düsseldorf: 19./20.05.

Donnerstag, 31. März 2011

Gaddafi Superstar - Gedanken zu Kunst und Politik

KING OF THE KINGS von den Lovefuckers

Gaddafi - Muammar al-Gaddafi - ist in aller Munde, in allen Zeitungen und nun auch im Theater: Der Mann, der aus der Wüste kam und 1969 mit einem Militärputsch das Regime von König Idris von Libyen in den Mülleimer der Geschichte beförderte. Seitdem regiert er mit eiserner Faust als alleiniger Herrscher das Land  und propagiert ein wirres Welterlösungsprogramm- festgehalten im bekannten 'grünen Buch'. Das Stück vermengt in einer ebenso rasanten wie lustigen Show, dramatische Wahrheiten und skurrile Begebenheiten rund um den Diktator.

King of the Kings © Lovefuckers/Sebastian Valk

Der zynische Humor der Lovefuckers macht vor nichts halt und so findet Gaddafis Liebe für pazifistische Konfliktlösungsstrategien - 'Anti-Bevölkerung-macht-Stress Waffenserie' von den freundlichen Männern von 'Social buisness' - ebenso Einzug in das Stück wie seine unzerstörbare Freundschaft zu Berlusconi - auf ewig verbunden durch ihre gemeinsame Liebe für Bunga Bunga und weitere obszöne Eskapaden -, seine progressive Meinung zur Rolle der Frau -  die natürlich alles darf und kann aber leider durch den permanenten Mutterzustand zu schwach dazu ist (dixit das grüne Buch), seine Liebe für partizipative Herrschaftformen - "Ich verabscheue alle parlamentarischen Demokratien" und vor allem die grenzenlose Liebe des libyschen Volkes für Gaddafi - alle gefühlte 2 Minuten muss sich Gaddafi vor einer Gewehrsalve ducken. Die hier dargestellte Lesart der Gaddafi-Thematik ist mutig und vor allem erfrischend - endlich ein neuer Blick auf das alte - im wahrsten Sinne des Wortes angesichts der 40 jährigen Herrschaft Gaddafis - Thema.

Das Stück ist ein wahres Festival der Kunst- und Kommunikationsformen - Schauspiel, Puppenspiel, Passanteninterviews, Musik, Mini-Videos, alle Mittel sind recht um die bizarr-erschreckende Persönlichkeit des 'Master of revolution' widerzuspiegeln. Das Resultat ist gelungen: ein Lacher folgt auf den nächsten, wobei die intelligente Kritik nie wirklich weit weg ist. Leider verliert sich das Stück  gegen Ende in Redundanzen  und die Inszenierung versinkt in Aktionismus.

Was es sonst noch zu sagen gibt, hätte keiner schöner als die Gruppe um die Lovefuckers selbst formulieren können, deshalb überlasse ich nun ihnen das Wort:  Gaddafi Superstar - Gedanken, Interpretationen und Hintergründe zu KING OF THE KINGS.


Mittwoch, 30. März 2011

Welches Tier steckt in dir?

Antworten in Bildern von Besuchern von FURRY SPECIES

'Mensch-Tier Hybride sind die besseren Menschen'. Die Zeit ist gekommen in unser tiefstes inneres zu blicken und die dunklen Seiten unseres Ichs zu erkunden. Auf der Suche nach den Wurzeln unsere wahren Identität stellen wir die ultimative Frage: welches Tier steckt in dir? Die Antwort gestaltet sich als Tiere-Rätselraten auf metaphysischer Ebene, denn ab jetzt 'wollen wir Hybride sein oder nicht sein'.


 
Institut für Hybridforschung © Corinna Korth
Mischwesen #1 


Mischwesen # 2

 Mischwesen # 3

 
Mischwesen # 4

Mischwesen # 5

Mischwesen # 6

 Mischwesen # 7

 Mischwesen # 8


Welches Tier steckt in dir © Miss Nina Ka 

Montag, 28. März 2011

Von rauschenden Festen und institutionalisierter Liebe

BIS DAS DER TOD UNS SCHEIDET 
- eine polnische hochzeitsfeier von mariamagdalena & Gästen

Sie hat ein schönes Kleid
Sie hat goldene Haare 
Und ist mein ganzes Glück 

- Der Bräutigam

Das private ist politisch. Eine Hochzeitsperformance, vor allem eine polnische, ist nie nur Herzluftballons und Freivodka für alle.

Was wie eine von diesen Familienhochzeitsfeiern beginnt, die wie ein Gruselkabinett der Peinlichkeiten anmuten und auf denen man sich viel zu früh in einer Polonaise zwischen Bekannten wieder findet, die man viel zu lange nicht gesehen hat, in Zuständen, die man eigentlich überhaupt nicht sehen möchte, bleibt auch ziemlich lange so. Das Bildungsbürgertum rümpft die Nase, alle anderen haben Spaß, und das ist im Theater ja schon fast eine Seltenheit. 

Bis das der Tod uns scheidet © mariamagdalena 

Die Hochzeitsfeier von Mariamagdalena und ihrem Bräutigam ist ausgelassen. Aber im Trubel von Gruppentanz, Hochzeitspielen, Vodka  und sauren Gurken durch den die Theaterbesucher getrieben werden, tauchen doch irgendwann Fragen auf. Fragen nach dem Onkel aus Chipchev der zum nieddriglohn auf dem Bau arbeitet, nach der Kusine die als Pflegehelferin die Lücken des deutschen Sozialsystems stopft. Die Stimmung kollabiert. Nach 6 Stunden ausgelassenem Feiern wurde es auch mal Zeit.

Weitaus wichtiger, und in ihrer Unausgesprochenheit auch radikaler, ist die Frage nach der Hochzeit als  urtypischem und gleichzeitig zeitlosem, ultimativem Ausdruck jeder wahren Liebe. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre mögen uns zwar eine Alternative vorgevögelt haben, die Hochzeit und ihr Versprechen „love for ever“  bleiben dennoch der unangefochtene Gipfel unserer monogamen Kultur.

Doch die Hochzeit hat sich, auch wenn sie beständig weiter existiert, in ihrer Rolle vollkommen verändert. Vergessen sind die Zeiten in denen Hochzeiten bewährte Außenpolitische Friedens- und Staatsausdehnungsinstrumente und Besiegler ökonomischer Transaktionen darstellten. Heiraten ist heute ein freiwilliger Akt der Liebe, dessen Symbolik sicherlich vor dessen konkreter Tragweite steht. Die Ehe steht nicht mehr im Wiederspruch zur absoluten Freiheit des Individuums, die in der westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhundert so groß geschrieben wird.

Was bleibt, ist das Bedürfnis nach einer Offizialisierung der Beziehung, (nebst Pragmatismus, Statussteigerung und Anpassung an sozialen Druck) eine von vier von Jean Kellerhas identifizierten Beweggründen zu heiraten).  Hochzeiten, heute wie damals, sind meist eingebettet in rauschende Feste auf denen viele Gäste feiern (und Mariamagdalena liefert uns ein prächtiges Exemplar einer solchen!), ziehen Eheringe nach sich und werden übermäßig durch Photos verewigt. Alles Wege eine Beziehung in die Öffentlichkeit hinaus zu tragen. Auch auf ganz formelle Art und Weise spielt die Öffentlichkeit eine Rolle bei der Hochzeit: Die Hochzeitsankündigung wird vier Wochen lang ausgehangen,  die Unterschrift eines Staatsdieners eingeholt, der Name im Ausweis gewechselt. Summa sumarum wird die staatliche Legitimierung einer eigentlich rein privaten Sache eingefordert.

Wenn das Licht ausgeht stehen die Zuschauer, noch ganz benommen von diesem partizipativem Performancemarathon, mit einem Gefühl das irgendwo zwischen heiter, peinlich berührt und iritiert oszilliert, am Rande der Tanzfläche. Neue Erkenntnisse über Entkulturalisierung und Ausbeutung im Zuge der Globalisierung sind leider ausgeblieben, aber Mariamagdalena hat soeben das Thema Hochzeit, welches wohl das Gehalt einer ganzen Armee an Frauenzeitschrifstredakteuren sichert, in die Sphären des Off-Theaters befördert.
Georges Brassens - La non-demande en marriage

 Georges Brassens © Philips 


BIS DAS DER TOD UNS SCHEIDET  - eine polnische hochzeitsfeier von mariamagdalena & Gästen ist zu sehen:

BRUT Wien: 08.04.
GESSNERALLEE Zürich: 14.05.

FFT Düsseldorf: 28.05.

Samstag, 26. März 2011

Humanimal - Mischwesen in deinem popkulturellem Wohnzimmer!

Canis Lupus alias Corinna Korth ist längst nicht mehr als alleiniges Mischwesen in europäischen Städten unterwegs. Sobald die Kunst, das "devenir-animal" als neue Identitätsvariable entsdeckt hat, folgen schon ihre popkulturellen Nachahmer. Die Wildnis kann sich jetzt jeder ganz einfach nach Hause bestellen, so preist es zumindest die Webseite des Performance-Künstlers und Modells Alex Kovas an.

Humanimalis © Alex Kovas

Der Londoner verwandelt sich in seinen Performances, die unter dem Namen 'Humanimal' laufen,  in jedes erdenkliche Tier - Doberman, Antilope, Schneeleopard- alles ist möglich. Fast nackt, und mithilfe von Body-Paint, Kunstzähnen und Silikonprothesen inszeniert sich der Selbsternannte Avantgarde-Künstler vor der Kamera. Die Videos werden von hundertausenden You Tube Usern verfolgt, und sorgen für wirre Gefühle. Von faszinierend bis eklig wird seine Kunst mit fast jedem erdenklichem adjektiv das die europäischen Sprachen so hergeben quittiert. Sein Geld verdient Alex Kovas damit, dass er bei privaten Veranstaltungen auftritt. Falls du also schon immer von einem Geburtstag mit anthropomorphem Touch oder einer Hochzeit mit animalo-sexuellem Flair geträumt hast, weißt du jetzt wo es lang geht!

Während bei Corinna Korth die körperliche Veränderung eine nachhaltige Modifikation der Identität nach sich zieht, und vor allem auf eine eingängige Reflektion gesellschaftsimmanenter Identifikationsprozesse folgt, ist Kovas innere Transformation genauso so schnell dahin, wie die Schminke auf seinem Körper abgewaschen. Die Identitätssuche des Künstlers hört hier an der Türschwelle auf. Dem Künstler ist bei allem guten Willen kein triftiges philosophisches Konstrukt hinter seinem Werk zu entlocken, kein markantes politisches Statement. Bei weitem wichtiger als der Kunstakt an sich, sind hier die vom Zuschauer empfundene Lust am und der Ekel vor dem Mischwesen. Die Menschen ergötzen sich an den Bildern jener, die es wagen die Haarscharfe Trennung zwischen Mensch und Tier zu missachten, verlangen bei aller Abscheu nach Mehr und befördern so das Mischwesen in den Popkulturellen Himmel.




Freitag, 25. März 2011

Identität und Zivilisation. Was ist Mensch, was ist Tier?

FURRY SPECIES vom Institut für Hybridforschung 

Die Erforschung des Mensch-Tier Dualismus löst sich als Monopol der Intellektuellen auf und erobert den öffentlichen Raum: Die individuelle Identitätssuche und -findung sucht sich im 21. Jahrhundert neue Ausdruckswege. Diese führen über die Infragestellung der  vielleicht primärsten Aufteilung der Welt, in Natur und Kultur, Mensch und Tier.

Institut für Hybridforschung © Corinna Korth

Im Mittelpunkt der Suche nach dem neuen ‚Ich’ steht bei der Künstlerin Corinna Korth die (Re-)Konstruktion ihrer animalischen Vergangenheit und ihres animalischen Daseins. Seit 2000 behördlich anerkanntes Mischwesen aus Wolf und Mensch, fährt sie U-Bahn, geht jagen, arbeit als Schäferwolf und Leiterin des Instituts für Hybridforschung. Nach der Reintegration des Wolfes in seine deutschen Gefilde in den 1990er Jahren, reintegriert Corinna Korth den Wolf in ihre menschliche Identität.  Eine durch geistige und körperliche Transformationen gelebte Symbiose, die sie in Photos, Filmen, Performances, Sachbüchern festhält. Identitätsfindung ist hier Kunst, Politik und Chirurgie zugleich.

Corinna Korth holt den Wolf zurück in die Zivilisation, Timothy Treadwell flieht vor der Zivilisation in die Gemeinschaft der Grizzlys nach Alaska. Fünfzehn Sommer lang lebt Timothy Treadwell mit den Bären als wären es Teddys, bis sie ihn schließlich am Ende des Sommers 2003 umbringen. Werner Herzog begibt sich mit seinem 2008 erschienenem Film ‚Grizzly man’ auf Treadwells Spuren und verarbeitet unzählige Stunden an dokumentarischem Filmmaterial. Auf hunderten von Videos hat Treadwell festgehalten wie er sich der Lebensart der Grizzlys aneignet, ihnen auf Schritt und Tritt folgt, lernt Fisch zu fangen wie sie. Im Vordergrund steht in Herzogs Film weniger das, was Treadwell war bevor er seinem wahren ‚Ich‘ in der Form eines Grizzlys begegnete. Vielmehr ist das Augenmerk auf Treadwells Gradwanderung zwischen Mensch und Tier und jenem unüberwindbaren Graben, der schließlich zum seinem Tod führte, gerichtet.

Corinna Korth ist, wie Timothy Treadwell auch, Teil einer Bewegung, die sich auf einer identitätstiftenden Flucht aus der Zivilisation heraus und in die Wildnis hinein befindet. Das Tier in sich zu entdecken, ist nunmehr eine von unendlich vielen Möglichkeiten zu sich selbst zu finden. Vorbei sind die Zeiten in der man sich fürchtete vor der Zoanthropie [gr. zôon Tier, anthrôpos Mensch, Wahnvorstellung, in ein Tier verwandelt zu sein], in der Wehrwölfe gejagt und Mischwesen – man denke an die ominöse Lilith - als Sinnbilder der Sünde aufgestellt wurden. Nachdem uns die letzten Jahrzehnte weiß machen wollten Selbstfindung finde über Aussteigertum, Drogenexzesse und aryurvedischem Yoga statt,  lautet die Botschaft des 21. Jahrhunderts: Geht und suchet, dass ihr das Tier in euch findet!

 © Werner Herzog Filmproduktion

FURRY SPECIES vom Institut für Hybridforschung  ist zu sehen:

KAMPNAGEL Hamburg: 26.04.
BRUT Wien: 08./09.04.
GESSNERALLEE Zürich: 11./12.05
FFT Düsseldorf: 25./27.05